Vom Lachen und vom Lächeln

Der verlorenste aller Tage ist der,
an dem man nicht gelacht hat.
Nicolas Chamfort

von Dr. K.O. Kuppe aus Atem und Mensch 1/1965

In vorchristlicher Zeit hat bereits Heraklid den Ausspruch getan, dass Lachen und Weinen des Menschen heilige Handlungen seien. Er hat das wissenschaftlich bewiesen, aber er hat wahrscheinlich intuitiv erfasst, dass sowohl im Lachen als auch im Weinen etwas Elementares, Ursprüngliches zum Ausdruck kommt. Jedes Lachen und jedes Weinen führt zu einer seelischen und auch körperlichen Erschütterung.
Um diese Erschütterung ging es ja auch den Dramatikern unter den Griechen. Es war die Aufgabe des Schauspielers, den Zuhörer zu erschüttern, dass es zu einer Katharsis, zu einer inneren Läuterung und Wandlung geführt wird. Sowohl die griechische Tragödie als auch die Komödie vermochten dieses Ziel zu erreichen. Die Helden Homers brechen in ein zwerchfellerschütterndes Lachen aus.
Lange Jahrhunderte hindurch schien die Bedeutung von Lachen und Weinen für die leibliche und seelische Gesundheit des Menschen in Vergessenheit geraten zu sein. Wenn man heute den Versuch unternimmt, in medizinischen Lehrbüchern, im Brockhaus, im Lexikon für Naturheilkunde nachzuschlagen nach Begriffen wie Lachen und Weinen, so findet man schon im Stichwortverzeichnis diese Ausdrücke nicht. Auch die Literatur über den Atem macht darin keine Ausnahme. Im Duden steht lediglich, wie man die Worte schreibt. Es ist das Verdienst der modernen Psychotherapie, diesen Urfunktionen des Menschen wieder größere Bedeutung zuzumessen.
Zunächst müssen wir die Frage aufwerfen: Was geschieht eigentlich, wenn der Mensch lacht, wenn er herzhaft, lautschallend lacht? Sein ganzes Gesicht verwandelt sich, leuchtet scheinbar auf. Mund, Nase und Augen werden weit und breit gestellt, und durch den geöffneten Mund wird die Luft explosionsartig ausgestoßen. Wenn das Lachen so richtig aus der Tiefe herauskommt, dann nimmt der ganze Körper an dieser Erschütterung teil, er biegt sich vor Lachen. Man kann vor Lachen „platzen“, nach dem Volksmund kann man sich auch „totlachen“. Vor dem Röntgenschirm würden wir das Zwerchfell auf-, und abschwingen sehen, je nach Schnelligkeit des ausgestoßenen „Ha ha ha“. Anspannung und Entspannung des Zwerchfells folgen in rhythmischen und schnellen Wechsel. Man ist nach einer solchen Lachsalve erschöpft, aber man ist auf jeden Fall entspannt. Da die Bedeutung des Lachens im Ausatemvorgang liegt, ließe sich noch sehr viel dazu sagen, dass z.B. in vermehrten Maße Kohlensäure ausgeatmet wird, dass indirekt wiederum die Einatmung vertieft wird, dass Spannungen des Zwerchfells gelöst werden, dass die Blutzirkulation angeregt wird und dass der Leberstoffwechsel gesteigert wird und vieles andere mehr. Diese physiologischen Tatsachen sollen hierbei nur gestreift werden. Wir können soviel lachen, dass wir Tränen in die Augen bekommen, und es gibt Menschen, die so herzhaft lachen können, dass ihre ganze Umgebung angesteckt wird, ohne den Grund ihres Gelächters zu kennen. Lachen ist „innere Bewegung“, es vermag sich fortzupflanzen wie Schallwellen. Lachen bedeutet Befreiung, wenn eine persönliche, eine ernste oder auch gefahrvolle Situation sich um Komischen hin auflöst. Beim Kind offenbart sich das Lachen am schönsten, am elementarsten. Hat un snciht alle einmal das Kasperle-Theater zum Lachen oder Weinen geführt? Später waren es der Zirkusclown, und für den Erwachsenen ist es der geistreiche Conferencier. Lachen ist etwas Geistiges, ausgelöst durch ein Bild oder durch eine Vorstellung. Nur Menschen vermögen zu lachen, Tiere können es nicht.
Die stillere Schwester des Lachens ist das Lächeln. Es ist nicht explosiv, es ist nicht stürmisch, aber irgendwie ist es auch elementar. Es durchleuchtet den Menschen von innen heraus. Ein wirkliches Lächeln kann ein Gesicht verklären. Vielleicht könnte man von einem stilleren, vergeistigteren Prozess des Lachens sprechen. Vielleicht verstehen wir das Lächeln besser, wenn wir an seinen Gegensatz, das Grinsen denken.
Grinsen ist immer etwas Hässliches. In der Kunst des Mittelalters sind Teufel und Hexen immer grinsend dargestellt. Das hämische Grinsen ist gebunden an niedere Instinkte, an Neid, Schadenfreude, Lust am Quälen, aber es führt niemals zur Lösung, es führt zur Grimasse, zu einer extremen Verspannung, zu einer Verzerrung des Gesichts, zu einer Verspannung des ganzen Körpers, es führt zur Hässlichkeit der Bewegung.
Mit Humor erhebt der Mensch sich über sich selbst und über sein Schicksal. Auch im Galgenhumor findet ein solcher Prozess statt. Vielleicht ist die Erzählung aus dem Mittelalter schon in Vergessenheit geraten: Ein zum Tode Verurteilter wird bei strömenden Regen aus dem Gefängnis zum Galgen geführt. Auf dem Wege dorthin sagt er zu seinem Henker: „Gott sei Dank, dass ich bei diesem Sauwetter nicht wieder zurück muss!“ Das ist Galgenhumor im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist aber auch ein Zeugnis menschlicher Geisteshaltung, die die Tragik der Situation bereits überwunden hat. Viele Frontsoldatenwitze beruhen auf derselben Ebene. Humor bedeutet aber auch Selbstschau, Erkennen der eigenen Schwäche. In den liebenswerten Gestalten von Graf Bobby, von Poldi, von Tünnes und Scheel, im sächsischen Humor und im jüdischen Witz begegnet uns immer wieder jene ehrliche Selbstkritik, die in der bildhaften Einkleidung eines kurzen Witzes weit mehr auszudrücken vermag als eine lagen, psychologische Abhandlung.
Die Karikatur, die Satire ist immer gegen eine 3. Person gerichtet. Der Berliner Humor liefert dafür viele Beispiele. Besonders liebenswert aber bleibt das Erkennen und Beleuchten der eigenen Schwächen, für das der Wiener und der süddeutsche Humor viele Beispiele hat. Rudolf Maier schreibt in der „Weisheit der deutschen Märchen“: “Ohne souveränen Humor wird man niemals den wahren Geist finden“. Viel stilles Lächeln ist in den deutschen Volks-märchen verborgen. Zwerge und Gnomen, sprechende Tiere, das tapfere Schneiderlein oder die Prinzessin, die auf der Erbse schläft, haben ihn.
Lachen und Lächeln sind eine geistige Macht. Sie vermögen den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes aus der Verspannung des Alltags zu lösen. Nicht nur im übertragenen Sinn wird hier der Mensch gelöst, sondern ganz real, seelisch und körperlich. Vielleicht wird einmal eine Zeit kommen – und das wird gewiss eine schöne Zeit sein – , wenn wir unser Straßen und Plätze nicht mehr nach Feldherren und Politikern benennen, sondern nach denen, die die Menschen zum Lachen und Lächeln brachten, die sie lösten aus dem Alltag und der Bedrängnis ihres Körpers. Curt Goetz, einer der großen Meister des Humors, schrieb seinem „Dr. med. Hiob Praetorius“ den inhaltsschweren Satz: Was uns fehlt, ist Freude; was wir brauchen, ist Hoffnung; was uns nottut, ist Zuversicht; wonach wir dürsten, ist Liebe und wonach wir verschmachten, ist Frohsinn.